Samstag, 25. August 2012

Run and Roll for Help!

Is ja an sich ne gute Sache, so n Spendenlauf. Man zahlt 10 Euro, meldet sich an, läuft/geht 5 oder 10 km, hat bisschen Spaß, und tut was für n guten Zweck. So hat mir das meine Line-Dance-Kollegin Dagmar verkauft. Mhm. Alles klar. Bin zwar untrainiert, dennoch zäh und  für jeden Spaß zu haben. "Ok, meld mich an!" Die Truppe nennt sich wilde 60er-Mädels, ich bin zwar 1970 geboren, doch an so Kleinigkeiten wollen wir uns jetzt mal nicht festhalten. Der Lauf ist am Sonntag. Freitag und Samstag hab ich Geburtsvorbereitungskurs, so dass mir wenig Zeit bleibt, mich aufzuregen. Was mich etwas irritiert, sind die Schlagzeilen in Presse und Internet: SONNTAG, HEISSESTER TAG DES JAHRES. BIS ZU 38°. Meine Freundin attestiert mir Wahn-, Leicht- und Irrsinn. Mein Freund ist nah dran, es mir verbieten zu wollen. Ich denke kurz drüber nach und mein innerer Schweinehund schickt mir screenshots von Kübeln von Speiseeis und Pool-Bars. Nix da! Ich bin angemeldet und werde mitwalken. Zur Not wird es eben ein mehr oder weniger zügiger Spaziergang.
Wir sind da. Ich trage eine schwarze Radlerhose, ein pinkfarbenes Top und fast neue Sportschuhe von Deichmann. Die FILA-Angebotsware für € 39,95 solls wohl tun. Ich kenne mich. Anfängliche Begeisterung ist bei mir manchmal etwas überschiessend. Ich kaufe gern auch die sprichwörtliche Kuh, nur weil ich ein Glas Milch trinken möchte...
"Trink noch was!" sagt mein Freund und wir bestellen uns jeder ein alkoholfreies Weizen. Noch 35 Minuten bis zum Start.
Um uns rum tummeln sich Helfer, Zuschauer, Läufer und solche die sich dafür halten.
Ich trinke gierig. So eine Hitze aber auch. Verdammt, die Luft ist flirrend heiß und es geht kein Lüftchen.
"Geh noch mal pinkeln!" Guter Tipp. Ich drücke ein paar Tröpfchen raus... die Flüssigkeit wird ausgeschwitzt noch bevor sie in der Blase überhaupt ankommen kann.
Noch 25 Minuten bis zu Start. Es ist 15.05 h. Die sengende Hitze ist noch steigerungsfähig. Um viertel nach treff ich die anderen Mädels. Ich trinke noch einen Schluck, schnüre meine schicken Laufschühchen, stecke mein Handy mangels Hosentasche zwischen meine Brüste und BH und bekomme einen aufmunternden Klaps auf den Po. "Viel Erfolg! Übertreibs nicht!" Ich wackel ab... schon jetzt läuft mir die Brühe ...
Dagmar steht schon in gewohnt guter Laune mit den Startnummern am Treffpunkt. Ich bekomme die 506. WOW, meine erste Startnummer! Irgendwie krieg ich sie mit den vier Sicherheitsnadeln an meiner Vorderseite festgefummelt. Noch ein bisschen Smalltalk, und dann gehts schon gleich los. ...
Wir werden gebeten zu Start zu kommen. Aus dem Lautsprecher dröhnt 'The final Countdown' und irgendwo riecht es nach Bratwurst. 94 Walker haben sich angemeldet. Stehen da und scharren mit den Hufen. Nu los... keine langen Reden bitte, ich steh in der pralle Sonne und habe mich wegen möglichem Hitzestau gegen eine Kappe entschieden. Ich aktiviere meine Handy-Tracking-Software und möchte diese hoffentlich erfolgreiche Aktion bitte dokumentiert haben.
Er überzieht ein wenig mit seinen Sponsorenhuldigungen und es geht erst um 15.32 h los. 3-2-1-go!
Ich spanne meinen schwitzigen Körper an und los gehts. Mangels Erfahrung wie schnell ich das Ganze angehen sollte, halte ich mich an Dagmar als Pace-maker. Wir schwatzen noch ein wenig, allerdings merke ich bereits nach 400 m ein Brennen in den Waden, was ich bestimmt nicht noch 4,6 km so spüren möchte. Ich gestehe mir ein, dass Dagmar, die 2-3 mal pro Woche trainiert, ungefähr  einen halben Schritt schneller geht als ich. Ich versuche meinen eigenen Rhythmus zu finden und falle schnell ein Stück zurück. Ohhh, der erste Getränkestand. Ich bekomme ein Wasser gereicht, fühle mich toll und nehme es dankbar. Versuche zu trinken und kippe mir unfreiwillig einige Schlucke ins Dekollete. Handy geflutet. Toll. Egal jetzt. Den Rest schütte ich mir über den Rücken, das tut gut! Habe kurz ein schlechtes Gewissen weil ich den Plastikbecher den Helfern vor die Füße werfe. Aber die vor mir haben das auch alle so gemacht. Hat was von Wacken. Das Brennen in meinen Waden läßt nach. Sehr gut. Was ist das denn da vorne? Die Feuerwehr hat eine Dusche aufgebaut. Na das hat ja was. Es beflügelt mich und ich gehe einen Tacken schneller um baldmöglichst den kühlen Sprühnebel zu erreichen. "1 km" ist hier auf den Strassenrand gesprüht. Na wundervoll. 1/5 hätten wir dann schon mal. Und ab gehts durch das kühle Nass. Sehr angenehm. 3 Runden sind zu laufen. Ich freu mich schon, das nächste Mal hier vorbei zu kommen. Wenns denn dazu kommen sollte. Kurzfristig frage ich mich, wem ich hier mal wieder was beweisen möchte. Keine guten Gedanken für den Moment. Denn ich komme zu dem Schluss, dass ich überhaupt niemand was beweisen muss und spontan den Einkehrschwung zu McDonalds auf der gegenüberliegenden Strassenseite machen und mir einen großen Milkshake Erdbeer bestellen könnte, ohne dass es Konsequenzen hätte, außer vielleicht auf der Waage. Vor meinem inneren Auge sehe ich die kalte cremig-süße Flüssigkeit verführerisch in einen Pappbecher fliessen, ringe mit mir, als mich ein lautes "Sehr gut, Schnucki, weiter so!" aus meinen Tagträumen reisst. Verdammt. Mein Freund macht Fotos. Nix mit Erdbeershake. Tapfer grinse ich in die Kamera und schwenke nach rechts in die Straße, wo sich Start, Ziel, Bratwurststände und die Zeitnahme befinden. 15.48 h... 16 Minuten für eine Runde. 1/3 geschafft. Jeder der dort vorbeikommt erhält riesigen Applaus. Das motiviert. Das Läuferfeld sortiert sich. Mich überholen einige. Ich überhole zumindest einzelne. Und ich rechne, eigentlich mehr zur Ablenkung, dass ich eine Zeit von etwa 48 Minuten erreichen könnte, wenn ich so weiter walke. Unter 50 war mein Ziel. Wir sind die Cantina-Band! Dieselbe Runde noch mal. Und los! Ganz bald steht da 2 km. Wunderbar. Das sind quasi 2/5. Dummerweise kann ich das kürzen wie ich will - noch nicht die Hälfte. Ich nehme wieder den Plastikbecher am Getränkestand, versuche das diesmal etwas eleganter, naja. Ich singe gedanklich ein paar Powermetalsongs vor mich hin, weil ich blöderweise keinen ipod dabei habe, Dragonforce oder Edguy könnten mich jetzt motivieren. Rise of the morning glory beispielsweise. Der Gedanke an einen klaren kühlen Herbstmorgen läßt mich wehmütig werden. Mir ist so heiss. Zum Glück bin ich gleich wieder bei der Dusche. Das müsste die Hälfte sein. Wieder dieses goldene M vor meinen Augen. Lass mich zufrieden! Ich Anfänger habe entgegen dem, was ich irgendwann mal gelernt habe, schon nach ein paar hundert Metern die Arme nicht mehr enthusiastisch mitgeschwungen, sondern sie zur Energieersparnis schlaff neben dem Körper baumeln lassen. So sehen meine Finger auch aus. Wie kleine dicke Wiener Würstchen. Und so fühlen sie sich auch an. Sie brennen und pochen und ich schnappe mir einen Wasserbecher, um meine Finger hinein zu stecken. Toll Nicole. 2/3 erledigt, als ich an der applaudierenden Menge vorbei hechele. Beim nächsten Mal wenn ich hier bin werden die Endorphine in meinem Körper Purzelbäume schlagen. Ich drehe noch mal richtig auf als ich die Zeittafel sehe. 16.03 h. Irgendwo hab ich ne Minute gut gemacht. Noch mal! Einen Becher Wasser kippe ich mir über den Kopf. Es läuft in alle Ritzen - ich beginne meinen persönlichen Endspurt im Kopf. Ich brauch ein schnelles Lied von Dragonforce, was ich vor mich hinsummen kann. Through the fire and the flames fällt mir bei der Witterung spontan ein. Beim Sinnieren über den Text laufe ich wie von selbst. Ablenkung ist gut und hilft bei mir irgendwie besser, als mich mit allen Sinnen auf Hitze, Schmerz in Waden und Fingern und meinen Herzschag zu konzentrieren. Ich laufe ohne Pulsuhr, grundsätzlich. Das Ding attestiert mir jedesmal Herzinfarkte noch bevor ich richtig warm bin. Nur weil ich einen Ruhepuls von 84 habe... mir gehts gut damit.
Zwei Nordic-Walker verfolgen mich, ich lege einen Schritt zu. Nix da. 4 km. Nur noch diese Runde zu Ende. "On the blackest plains in hell's domain, we watch them as we go, in fire and pain, and once again we know..." genau, die Zeile hab ich gesucht. Mein Körper ist nass und heiss und nein- wir gehen NICHT zu Mc Donalds! Ein letztes Mal dieser Versuchung widerstanden und auf gehts in den Zieleinlauf. Ich werde wieder fotografiert... ob ich das Foto nachher sehen möchte? Ich bin mir nicht sicher! Mit wachsendem Ehrgeiz versuche ich noch ein bisschen was zu retten und komme bei 16.18 h ins Ziel. 46 Minuten. WOW! Geschafft. 4 Minuten schneller als geplant! Ich bekomme einen Tetrapack Wasser geschenkt und darf meine Startnummer wieder abgeben.  Mein Freund ist da, doch bevor ich mich entspannen kann, muss ich husch husch zum öffentlichen Klo. Man kann sich vorstellen welches Klima da herrscht. Als ich da sitze fange ich noch mal richtig an zu schwitzen und ich habe die Befürchtung, als Protoplasmapfütze im Klo am Giessener Brandplatz zu enden. Nach ein paar Minuten gehts wieder und ich habe nur einen Wunsch! Eis. Heim. Dusche. Bier! Ich bin stolz auf mich! 3. Platz von 10 in meiner Alterklasse. Und 53. von allen! Wundervoll.

PS: Der Muskelkater in den Schienbeinen am nächsten Tag war from Hell!